Liebesprobe

Katalin und Peter haben am Anfang dieses ersten Jahres mit der ,,2" vor allen weiteren Jahren geheiratet. Verlobt haben sie sich im November des letzten Jahres mit der ,,19" davor. Eine Brücken-Beziehung. Mit einer Brücke hatte auch die Verlobung von Katalin und Peter zu tun.

Zusammen hatten sie die Ringe ausgesucht. Gekauft hat er sie dann. Von ihrem Geld, weil er derzeit als Lehrer arbeitslos ist. Dennoch saßen sie guten Mutes am See auf einem dieser schmalen Stege, immerhin entfernt verwandt mit einer Brücke. Hier wollten sie sich die Ringe mit einem Versprechen anstecken, womit der Wandel von einem Pärchen zu einem (Braut) Paar verbunden ist. Ihre vier Beine baumelten entspannt in die Tiefe, ihre Seelen waren hochgestimmt.

Und jetzt geschah, was auf der Hochzeit die Runde machte: Im dem Augenblick, wo - ja, wer wem nur? - den Ring aufstecken wollte, plumpste dieser in den spätherbstlich-frühwinterlichen Schlamm. Plötzlich weg, aus, nichts zu sehen vom Pfand der Liebe.

Die Konsistenz des Sees, an dem sie saßen, war oberflächlich schon Wasser. Beim näheren Hinsehen war es Schlamm, gerade noch so wässrig, dass der Ring von seinem Eigengewicht rasch herabgezogen wurde. Nicht einmal ein Abdruck des Falles war zu sehen, als Katalin und Peter hinterher starrten.

Es gibt mehrere Möglichkeiten in solchen Augenblicken Zum Beispiel man starrt weiter im Schock, meditiert anschließend und kommt zu dem Schluss, dass dies ein Omen für eine schlechte Zukunft ist und macht, dass man einen anderen Gefährten findet. Oder aber man ...

Die „Oder-aber" machten sie beide gleichzeitig. Katalin rief ,,der Ring!", womit sie ihrem Peter den Willen kundgab, weiterzumachen. Und Peter ging ins Wasser bzw. in den Schlamm. Mit Straßenschuhen, bessere Hose und Wintermantel - wir haben November in dieser Geschichte! - ließ er sich von dem Steg herab. Sorgsam neben die Plumpstelle tretend, nicht auf sie.

Während er die beiden Hände mitsamt Mäntelärmeln wie Greifarme in den Schlamm steckte und darin ganz langsam, ganz vorsichtig harkte, begleitete Katalin ihn von oben mit ihrem Bangen um das Symbol für ihre Liebe. Ich mache es kurz: Peter musste länger harken und Katalin bangen, worin ja mehr Hoffnung als Verzweiflung liegt. Bis er den Ring hatte. Als undefinierbares Wesen zog sich Peter dann am Steg wieder hoch, gezogen von derjenigen, die dann seine Braut wurde. Den Ring hatte er im Mund, einverleibt.

Die Geschichte machte also die Runde auf der Hochzeit und die einen lachten, die anderen dachten nach: Glückwünsche für ein Paar, egal in welcher Altersstufe und Lebensplanung, sollten weniger auf reibungslose, garantierte Zukunft abzielen, als vielmehr die im wirklichen Leben garantierten Schlamm- Liebesproben wie diese mit dem nötigen Mut anzugehen. Selbst wenn die Sache aussichtslos scheint

Wie die mit dem Ring im Schlamm. Wobei es am Ende nicht so erheblich ist, wessen Ring plötzlich versackt.

25. Januar 2000